Hätte ich doch nur gewusst…
Kurz nach Abschluss meines Studiums hatte ich eine Vertretung in einer ländlichen Kleintierpraxis übernommen. Der Besitzer wollte erst zwei Tage mit mir arbeiten, als Übergabezeit. Mir war das mehr als Recht. Etwas mehr Sicherheit war nicht schlecht. Am zweiten Tag wurde eine Hündin vorgestellt. Der Besitzer der Praxis untersucht sie, wollte ihr Antibiotika geben und sie nach Hause schicken. Ich war mir ziemlich sicher, dass es sich um eine Pyometra handelte. Mein vorsichtig geäußerter Verdacht wurde den Besitzern gegenüber weggewischt. Das sei nichts Schlimmes.
Hätte ich doch nur gewusst, wie ich in der Situation reagieren sollte.
Ich war noch ein Neuling, war mir aber trotzdem ziemlich sicher…Ich entschied mich, mit Bauchschmerzen, sprach die Besitzer an der Tür nochmal an und empfahl Ihnen eindringlich in die nächste grosse Klinik zu gehen. War dies richtig? Ich hätte mir gewünscht es wäre so nicht nötig gewesen. Die Tatsache, dass ich mich noch so genau erinnere spricht für den emotionalen Druck, den ich in der Situation gespürt habe.
Meine Diagnose stellte sich übrigens als korrekt heraus, was ich in der Woche drauf bei einem Besuch der dankbaren Besitzer erfuhr. Im Sinne des Tieres hatte ich also richtig gehandelt.
Ich bin mir sicher, dass ich mit solch einer oder einer ähnlichen Situation nicht allein bin. Wenn es um Entscheidungen geht, darum wie man etwas Unangenehmes ansprechen kann, eine Meinungsverschiedenheit konstruktiv und respektvoll klären, entsteht gerne mal ein Sturm im Kopf und man fühlt sich wie gelähmt, der Bauch rebelliert, man möchte am liebsten fluchtartig die Situation verlassen, ins Bett kriechen und die Decke über den Kopf ziehen.
Geht aber leider nicht.
Ich hätte mir auf jeden Fall gewünscht vorbereitet gewesen zu sein.
Aber wir könnte man sich auf so etwas vorbereiten? Sind da nicht diverse Elemente drin?
Einerseits muss man entscheiden.
Dann kommunizieren, in zwei Richtungen. Dabei auch noch eine Argumentationstaktik anwenden, da man sich mit einer anderen Meinung konfrontiert sieht.
Dabei sein Selbstbewusstsein und Selbstwert im Gleichgewicht halten, vor allem, wenn man sich nicht absolut sicher ist, wie es mir damals ging.
Leider haben diese Elemente noch keinen wirklichen Platz in der Ausbildung von Tierärzten und ebenso wenig bei TFAs, bzw. TPAs, für die Schweizer Kolleginnen und Kollegen. Aber ist dies wirklich so unwesentlich für die Ausübung des Berufes in seiner Vielfältigkeit?
Ich glaube, dass wir nicht wirklich darüber diskutieren müssen, dass Tiermedizin ein anspruchsvolles als auch anstrengendes Studium mit wahnsinnig vielen Fächern, Spezies und Spezialisierungen ist. Hinzu kommt, dass sich der Kenntnisstand ständig weiterentwickelt.
Wir haben sicher das Kontingent einiger Telefonbücher auswendig gelernt, obwohl ich dies am meisten bei der Anatomie so empfunden habe
Der Stundenplan ist übervoll und manchmal wusste ich nicht ob ich stolz sein sollte, weinen oder neidisch auf andere Studiengänge sein. Ohne, dass dies despektierlich klingen soll, aber ich habe mit einer Soziologin und einem Kunstwissenschaftler eine WG geteilt…beide mit auffallend mehr Freizeit als es in meinem Semesterumfeld der Fall war….
Und natürlich kommt da die Frage auf, wo man noch weitere Themen wie Kommunikation, Persönlichkeit, Personalführung, Verhandlung, Konfliktmanagement etc. unterbringen sollte. Schliesslich ist es ja nicht so, als ob man am Ende des Studiums der fachlich perfekte Tierarzt wäre. Zumindest habe ich mich davon, wie im Einstiegsbeispiel klar wird weit entfernt gefühlt. Meist beginnt die wahre Reise erst nach dem Studium.
Ich möchte daher nicht laut und vehement dazu aufrufen ein weiteres Studienfach einzuführen. Das wäre wohl unfair für die jetzigen und kommenden Studenten.
Aber wie wäre es mit einem Schritt in diese Richtung? Wo auch immer Du Dich gerade befindest, ob noch im Studium oder bereits seit 20 Jahren in der eigenen Klinik.
Was Du beitragen kannst
Du fragst Dich was Du dazu beitragen kannst? Eine sehr gute Frage. Denn damit hast Du schon bewiesen, dass Du verstanden hast, dass es an Dir liegt Dich nach vorn zu bewegen.
Denn Lernen ist ein Prozess und der Erfolg liegt in der regelmäßigen Anwendung kleiner Dosen.
Mit wie vielen Personen sprichst Du so pro Tag?
Hast Du mal darüber nachgedacht oder sogar gezählt mit wie vielen Menschen Du dich pro Tag so austauschst?
Mit wie vielen redest Du allein persönlich? Dazu kommen Telefonate oder Emails.
Morgens erstmal mit Deinem Partner, vielleicht den Kindern, einem Nachbarn, dem Busfahrer, der Bäckereifachverkäufern oder der Bedienung im Coffee-Shop, je nach Gepflogenheiten, vielleicht dem Tankwart usw.
Dann mit den Kollegen, also den Tierärzten und TFAs aus Deinem Team (oder TPAs, für die Schweizer Kollegen). Die Intensität wird variieren, je nachdem wie dies in Eurer Praxis oder Klinik allgemein geregelt ist. Aber auch abhängig davon ob Du direkt zu den Tierhaltern fährst oder in der Klinik behandelst.
Mit den Patientenbesitzern redest Du selbstverständlich über ihr Tier. (Aber oft genug erhältst Du auch viele persönliche Informationen.) Zur Anamnese gibt es einen von Dir geführten Dialog, in welchem Du meist gerichtete Fragen stellst. In der Diagnostik, Behandlung und bei der Prognose kann sich das Gleichgewicht des Gespräches erfahrungsgemäß auch einmal stark zu Gunsten des Besitzers verschieben. Das hängt dann sowohl vom Kommunikationsverhalten als auch der Persönlichkeit des Besitzers als auch Deiner eigenen ab.
Du siehst, da kommen einige Personen und verdammt viel Kommunikationszeit zusammen. Es gibt Studien die darauf gekommen sind, dass wir ca. 80% der beruflichen Zeit kommunizieren. Ich denke also, dass es sich lohnt, hier einen etwas genaueren Blick drauf zu werfen. Die erste Frage ist folglich was Kommunikation eigentlich ist. Gefolgt von der Frage, inwiefern Kommunikation uns, bzw. wir andere damit beeinflussen.
Was für eine Rolle spielen unsere Emotionen dabei? Und haben diese Emotionen neben der Kommunikation auch etwas mit uns, unserem Level an Stress, unserem Umgang mit uns selbst zu tun? Und was hat unsere Persönlichkeit oder die der anderen mit alle dem zu tun?
Und hier sind wir nicht einmal angefangen uns mit dem Führen von Dir selbst oder anderen Menschen zu beschäftigen, Verhandlungen oder gar die Lösung von Konflikten anzusprechen.
Viele Fragen, die sich nicht zwischen Tür und Angel beantworten lassen. Aber in der VetAcademy haben wir viel Zeit dafür. Oder höre im Podcast „Soft Skills&Co für Tierärzte“ rein.
Hier noch eine kleine Aufgabe für Dich:
Überlege Dir einmal mit wie vielen Personen Du pro Tag sprichst. Was bedeutet Kommunikation mit diesen Personen für Dich? Lasse auch ruhig emotional beladene Gedanken zu. Wenn Dir eine Person in der Verbindung mit dem Wort `anstrengend´ in den Sinn kommt, ist das in Ordnung. Schreib es Dir am besten auf, denn wir schauen uns noch an, was dies bedeutet, woher es kommt und was Du tun kannst, um es Dir leichter zu machen.
Achte in der nächsten Woche auch einmal darauf, ob es ein Wort gibt, was Du besonders gerne und häufig benutzt. Vielleicht magst Du Deinen Partner, Familie, Kollegen oder auch Freunde danach fragen. Oft fällt anderen das eher auf als Dir selbst.
Viel Spass in der Umsetzung.